Die schneebedeckte Seite eines kolossalen Berges erklimmen. Der Vertikalität, der großen Höhe und dem Unvorhersehbaren trotzen. Meine Ängste und meine ständigen Zweifel überwinden, um endlich den Gipfel der Alpen zu erreichen. Von einem solchen Abenteuer hatte ich schon seit so vielen Jahren geträumt! Heute bereite ich mich auf die Besteigung der Lenzspitze über ihre Nordwand vor. Ich nehme die Herausforderung mit klopfendem Herzen an, in einer Höhe von über 4000 m im Schweizer Wallis.
Überschreitung der Lenzspitze zum Nadelhorn: Von der Mischabelhütte aus
Zu Beginn des Sommers 2024 macht sich das schöne Wetter im Hochgebirge rar. Dabei ist es doch das Wetter, das unsere Schritte durch die Alpen lenkt. Als ich erfahre, dass die Winde im Wallis der Sonne Platz machen, plane ich die Überquerung der Lenzspitze bis zum Gipfel des Nadelhorns. Ich habe zwei Möglichkeiten: die Lenzspitze über ihren Grat zu besteigen oder sie von ihrer Nordseite her anzugehen. Eine schwindelerregende Wand mit einem Höhenunterschied von 500 m und einer Neigung von 50° über dem Tal von Saas-Fee. Dieser Steilhang erhebt sich im Mischabelmassiv wie ein flammender und unbesiegbarer Eisvorhang. Wird es mir tatsächlich gelingen, ganz nach oben zu klettern?
Um alle Chancen auf meiner Seite zu haben, beschließe ich, einen Tag vor meinem Bergführer, Johann Filliez, zur Mischabelhütte zu gehen. Auf einer Höhe von 3336 m lasse ich meinem Körper Zeit, sich an das Hochgebirge zu gewöhnen. Ich betrachte, meditiere und nehme mir Zeit zum Atmen. Ich genieße die großzügige Gastfreundschaft von Maria, der Hüttenwartin, die im nächsten Jahr die Schlüssel der Hütte anderen anvertrauen wird, nachdem sie sie 14 Jahre lang bewirtschaftet hat. Maria bereitet mir den besten Empfang und ihre Küche ist außergewöhnlich. Ein wahrer Genuss! Trotz der Höhe fühle ich mich gut und bin zuversichtlich. Am Abend schlafe ich mit vollem Bauch und leichtem Geist ein.
Bei Sonnenaufgang sehe ich die unberührte Nordseite der Lenzspitze. Sie ist wunderschön und so gigantisch. Ich kann es kaum glauben, dass ich es am nächsten Tag als kleiner Bergsteiger wagen werde, mich mit ihr zu messen. Am Abend kommt Johann, der von einer Expedition zum Gipfel der Aiguille de Bionnassay zurückgekehrt ist, zu mir in die Hütte. Wir gehen um 20 Uhr zu Bett, aber ich kann kein Auge schließen. In meinem Kopf dreht und wendet sich alles um den Aufstieg am nächsten Tag. Diese zu ehrgeizige Nordwand, diese zu schneebedeckten Kämme. Ist das alles wirklich machbar?
Besteigung der Lenzspitze: Überquerung des Hohbalmgletschers
Ich bin noch ganz in Gedanken, als der Wecker um 2:28 Uhr klingelt. Ich stehe auf, und als ich mich um 2:30 Uhr mit Johann zum Frühstück treffe, fühle ich mich erstaunlicherweise fit. Die schlaflose Nacht hat bei mir weder Augenringe noch Müdigkeitsspuren hinterlassen. Ich gebe zu, dass ich es nicht glauben kann, aber ich ergreife meine Chance und um 3.15 Uhr verlassen wir die Mischabelhütte entschlossener als je zuvor. Der Wetterbericht sagt sonniges Wetter ohne Wind und Wolken voraus. Das ideale Wetter, um sich ins Hochgebirge zu wagen. Also machen wir uns nichts aus dem leichten Wind, der um die Hütte weht, und machen uns auf den Weg zur Lenzspitze.
Doch schon bei unseren ersten Schritten auf dem Hohbalmgletscher entzieht sich der Himmel. Wolken ziehen auf, der Schnee wirbelt herum. Plötzlich sind wir in einen Sturm geraten, der aus dem Nichts auftaucht. Was sollen wir jetzt tun? Sollen wir uns durch den eisigen Nebel kämpfen oder den Berg seiner Einsamkeit überlassen? Wir entscheiden uns für die Fortsetzung unserer Expedition. Vor mir zieht Johann die Spur und wir gehen durch den tiefen Schnee, der den Gletscher bedeckt. Als die Kälte zu stark wird und das Eis scharf wird, rüsten wir uns aus und ziehen unsere Steigeisen an. Wir müssen um jeden Preis die Rimaye erreichen. Mit jedem Schritt widersetze ich mich den wütenden Windstößen. Mit jedem Schritt kommen mir mehr Zweifel. Als wir um 5:30 Uhr endlich die Rimaye erreichen, die den Berg von seinem Gletscher trennt, sind wir uns nicht sicher, ob wir den Gletscher überhaupt erreichen können.
Dann macht die Morgendämmerung dem Tag Platz und die Winde lassen nach. Die letzten Schneeflocken legen sich auf das Eis. Die Natur atmet ein wenig auf. Um uns herum verlieren sich die Gipfel im Nebel. Ist diese Atempause ein Vorbote für die Rückkehr des schönen Wetters? Keiner von uns kann das sagen. Am Fuße der Lenzspitze treffen wir den Steilhangskifahrer Jérôme Henchoz und seine Kameraden, die uns am Gletscher überholt haben. Denn mit ihren Skiern in den Schuhen gleiten sie über den Schnee, als wir unaufhaltsam tiefer sinken. Mit den Skiern auf dem Rücken stürmen sie als Erste die Nordwand der Lenzspitze, und wir folgen ihnen.
Besteigung der Lenzspitze über die Nordwand: Auf über 4000 m in den Schweizer Alpen
Im Nahkampf mit dem Berg halte ich mich an dieser riesigen Wand fest und mache einen Schritt nach dem anderen, um aufzusteigen. Eine halbe Stunde später sind wir schon hoch oben, als die Sonne endlich durch den Nebel scheint. Wird das Wetter auf dem Gipfel gut sein? Egal, ich genieße diesen kostbaren Moment. Dank der Eispickel, die ich am Vortag gekauft habe, fühle ich mich wohl. Ich genieße das Gefühl, das mir dieser Aufstieg vermittelt. Welche Freude, in einem gleichmäßigen Rhythmus auf dieser unglaublichen Wand klettern zu können! Was für eine Freude, auf diesem fabelhaften Schnee aufzusteigen! Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es mir so viel Spaß machen würde, eine so beeindruckende Wand zu erklimmen. Als ich wieder zu Atem komme und mir der Weite des Ortes bewusst werde, wird mir natürlich plötzlich schwindelig. Aber sobald ich wieder mitten im Geschehen bin, werde ich eins mit der Lenzspitze und vergesse alles andere.
Um 8 Uhr beginnen wir die letzte Etappe unseres Aufstiegs. Unter einer dünnen Schneeschicht taucht plötzlich Blitzeis auf. Das Rennen ändert sich von Grund auf. Es wird gefährlich und verwirrend. Die Gefahr schwebt über jeder meiner Bewegungen. Meine Steigeisen rutschen über die glatte Wand, meine Muskeln verkrampfen sich und ich spüre, wie mich die Angst überkommt. Also konzentriere ich mich und nehme meinen letzten Mut zusammen, um dem hohen Berg nicht nachzugeben. Ich schlage fest auf meine Eispickel, damit sie sich so tief wie möglich im Eis verankern.
Auf einer Höhe von 4200 m spüre ich, wie mich meine Kräfte verlassen. Ich bin erschöpft und kann kaum atmen. Johann vor mir schafft es, mich zu sichern, indem er Stifte im Eis befestigt. Aber die Müdigkeit ist zu groß, die Angst zu ausgeprägt und ich rutsche ab. Meine Steigeisen rutschen an der Wand ab und ich fühle mich, als würde ich fallen. Zum Glück sind die Eisschrauben selbstsichernd. Der Stift, der mich sichert, verhindert meinen Sturz, er neutralisiert die Gefahr und verhindert ein Drama. Wäre ich ohne sie die Nordwand der Lenzspitze hinabgestürzt? Niemand kann das sagen, aber ich danke dem Himmel dafür, dass ich in einer Zeit bergsteigen kann, in der die Technik den Herausforderungen des Hochgebirges gerecht wird. Und ich danke natürlich auch Johanns Professionalität, ohne die ich solche Leistungen nicht erbringen könnte.
Auf der Lenzspitze: Im Mischabelmassiv
Schließlich überwinden wir die letzten Meter, die uns vom Gipfel der Lenzspitze trennen. Dort oben vereint sich der Nebel mit den starken Winden und hüllt uns in eine eisige Luft. Wir stehen wie angewurzelt inmitten einer neuen Welt, deren Umrisse und Schönheit wir nicht erkennen können. Wenn in einem unmerklichen Hauch die Alpen sich enthüllen, vom Dom des Mischabel bis zum Lyskamm. Das flüchtige Wunder der Walliser Alpen, das sich in einem Augenblick verflüchtigt und wieder von einer Wolkenflut verschluckt wird. Offensichtlich will der Berg an diesem Tag wild bleiben. Es ist Zeit für uns, seinen Gipfel zu verlassen. Aber wo soll unsere Expedition weitergehen? Die Überschreitung von der Lenzspitze zum Nadelhorn scheint gefährdet. Auf dem Grat liegt viel Schnee, der viel zu instabil ist. Und der Wind lauert auf jeden unserer Fehltritte. Uns bleibt nichts anderes übrig, als über die Nordseite der Lenzspitze abzusteigen.
Abstieg von der Nordwand der Lenzspitze: Auf dem Prüfstand der Walliser Alpen
Steilhang-Skifahrer würden davon träumen, eine so monumentale Wand in Angriff zu nehmen. Aber ich habe zu wenig Erfahrung, um sie mit Skiern zu befahren. Johann und ich müssen uns erneut dem Blankeis stellen, das den oberen Teil der Wand bedeckt. Ich mache mich rückwärts auf den Weg, weil ich Angst habe. Johann sichert mich, indem er mich an Eisschrauben abseilt. Und ich danke Jérôme Henchoz unendlich, der uns, nachdem er beim Aufstieg die Spur gelegt hat, beim Abstieg sein Seil leiht. Dank ihm können wir länger abseilen und so effizienter vorankommen.
Als das blanke Eis endlich dem Schnee weicht, kann ich wieder aufatmen. Meine Ängste verfliegen und ich genieße die Freude an diesem Epos an der Seite von Johann. Danach ist alles ein reines Vergnügen. Unsere Bewegungen gehen fließend ineinander über. Von einer Eisschraube zur nächsten, rückwärts die Nordwand der Lenzspitze hinunter. Das ist ein unvergessliches Erlebnis für mich. Je näher wir dem Fuß des Berges kommen, desto weiter entfernen wir uns von der Lawinengefahr. Wir überqueren die Rimaye, indem wir auf dem Schnee rutschen. Dann wissen wir, dass wir die Herausforderung gemeistert haben. Wir sind gesund und munter, um eine außergewöhnliche Reise zu einer der schönsten Nordseiten der Alpen reicher.
Um 11:30 Uhr verlassen wir die Lenzspitze und überqueren den Hohbalmgletscher. Durch den tiefen Schnee erreichen wir schließlich die Mischabelhütte. Maria erwartet uns dort mit einer leckeren Rösti. Auch das gehört zu den Freuden des Hochgebirges. Die Geselligkeit würdigt die Anstrengungen, die man auf sich genommen hat. Die Freude an den einfachen Dingen macht der Pracht einer scheuen Natur alle Ehre. Also freuen wir uns auf diesen Moment der Entspannung und genießen gemeinsam dieses Feinschmeckergericht.
Als mein Blick ein letztes Mal auf die Lenzspitze fällt, denke ich, dass die Besteigung ihrer Nordseite von nun an mein Orientierungspunkt sein wird. Ich weiß jetzt, dass ich in der Lage bin, steile, schneebedeckte Hänge hinauf und hinunter zu gehen. Ich weiß auch, dass ich noch weiter gehen kann. Heute habe ich meinen 52. Viertausender in den Alpen bestiegen. Und ich spüre, dass in mir noch viele weitere Epen im Hochgebirge entstehen.