Seit jeher haben Menschen die Berge bestiegen, fasziniert vom leuchtenden Glanz der Kristalle. Schatzsucher, die die Höhen erkunden. Liebhaber von Mineralien und Nervenkitzel. Hier erzähle ich Ihnen die Geschichte der Kristallmacher auf den Gipfeln der Alpen.
Kristallblüte im Mont-Blanc-Massiv
Alles beginnt vor 25 Millionen Jahren. Die Erde bebt, die Tiefsee brodelt. An der Grenze zwischen Afrika und Europa stoßen die tektonischen Platten aufeinander und reißen sich gegenseitig auseinander. Während ihres erbarmungslosen Kampfes bilden sich Hohlräume im Inneren des Gesteins. Wasser sickert hinein und ist froh, der Wut der Elemente für eine Weile entfliehen zu können. Der Druck dieser heißen Flut löst die Kieselsäure im Granit auf. Dann entstehen die Alpen, der Mont Blanc taucht auf. Die zerklüftete Natur kann endlich aufatmen. An den Hängen des Berges beruhigen sich die Elemente. Das Wasser in seinen Felsen kristallisiert. Das Innere des Berges birgt nun einen Schatz. Die mit Kristallen ausgekleideten Öfen warten nur darauf, von ihren Entdeckern gefunden zu werden.
Wenn die Alpen reich an Kristallen sind, so enthält das Mont-Blanc-Massiv eine große Anzahl und einige der schönsten. Die von Sammlern am meisten gesuchten Kristalle, Fluorit und Quarz, kommen nur in den Alpen und im polaren Ural vor. Einen rosafarbenen oder leuchtend roten Fluorit zu finden, ist der Traum eines jeden Kristallzüchters. Quarz hingegen kann Farbtöne von der reinsten Transparenz bis zum tiefsten Schwarz annehmen. Während weißer Quarz und Hyalinquarz oder Bergkristall im Mont-Blanc-Massiv allgegenwärtig sind, sind Rauchquarz oder der absolut schwarze Morionquarz weitaus seltener. Und wenn sich die Achse des Kristalls um die eigene Achse dreht, wird er zu einem verdrehten Quarz, auch Gwindel genannt. Dann ist er unbezahlbar und äußerst selten, und seine Jagd wird für jeden Kristallzüchter zur Gralssuche.
Die Geschichte der Kristallmacher auf den Alpengipfeln : Von der Vorgeschichte bis zur Neuzeit
Geoden, die mit Quarzkristallen bedeckt sind, sind den Menschen seit der Vorgeschichte wohlbekannt. So wurden an mesolithischen Stätten in Savoyen und im Schweizer Wallis verschiedene Gegenstände und Werkzeuge aus Quarzkristall ausgegraben. In der Hochantike galt der durchsichtige Bergquarz als Edelstein, der Schmuck und Kunstgegenstände schmückte.
Um 300 v. Chr. erwähnt Theophrast, ein Schüler von Aristoteles, in seinem mineralogischen Werk Peri lithon die Existenz von Lagerstätten in den Alpen und die Bearbeitung von Quarzkristallen zu Siegeln. Auch Plinius der Ältere erwähnt im 1. Jahrhundert n. Chr., dass diese Vorkommen weit über die Alpen hinaus bekannt sind. Das Echo auf ihre Schönheit hält über die Jahrhunderte hinweg an. Vom Mittelalter bis zur Renaissance waren die aus Bergkristall gefertigten Meisterwerke an den Königshöfen in ganz Europa sehr beliebt. Reliquienschreine, Schalen oder Vasen mit Intarsien, Schmuck und Cabochons erstrahlen im Glanz der Alpenkristalle.
Diese Begeisterung setzte sich im 17. Jahrhundert fort, als Quarz wie der sehr seltene Anatas in den Bergmassiven des Mont Blanc und des Oisans gepflückt und an die Schneidereien in Paris, Genf oder Mailand verkauft wurde. Der Handel mit Quarz nahm damals ein ungeahntes Ausmaß an und es entstanden neue Vorkommen vor allem in Savoyen, in Doucy oder auf dem Grand-Mont. Das Tal von Chamonix wurde zu einem unumgänglichen Ort für Kristallliebhaber. Die Tätigkeit der Kristallzüchter wird nach und nach strukturiert, die Techniken zur Erkundung und Gewinnung von Mineralien werden perfektioniert. Die Entdecker des 17. Jahrhunderts ebnen den Weg für die Eroberer der Alpen.
Kristallsammler und Bergsteigen: Den Mont-Blanc erobern
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts fesselt die Jagd nach Kristallen die Menschen ebenso wie sie ihnen Angst macht. Ist es vernünftig, sein Leben für Steine zu riskieren, auch wenn sie noch so wertvoll sind? Die Tätigkeit ist gefährlich und erfordert Ausdauer, Vorsicht und eine perfekte Kenntnis des Hochgebirges. Dank der Jagd nach Kristallen gelang es den Menschen übrigens, die Alpen zu zähmen, bevor sie ihre höchsten Gipfel eroberten. Jacques Balmat akklimatisierte sich durch das Sammeln von Kristallen an das Hochgebirge, bevor er am 8. August 1786 in Begleitung von Dr. Paccard als Erster den Mont Blanc bestieg.
Der Beruf des Kristallmachers ist ebenfalls lukrativ. Nicht nur erfahrene Bergsteiger, sondern auch viele Männer versuchen sich darin und riskieren, alles zu verlieren, um ihre Funde an englische Touristen zu verkaufen. Die Frauen mussten die Feldarbeit verrichten, während die Ärmsten mit ihren Kindern in den Bergen unterwegs waren. Der Naturalismus ist en vogue und um der Nachfrage gerecht zu werden, sind die Chamoniards zu allem bereit. Auch die Zahl der naturkundlichen und kristallkundigen Bergführer steigt. Der Kristallrausch ist auf seinem Höhepunkt.
Jahrhundert ließ die Begeisterung jedoch nach und die Kristalle lockten keine Menschenmassen mehr in das Mont-Blanc-Massiv. Über ein Jahrhundert lang gerieten die verborgenen Schätze der Alpen in Vergessenheit. Bis im Tal von Chamonix ein neuer Tag anbricht. In den 1960er Jahren entfachten junge Bergführer die Flamme der Kristallsammler neu. Roger Fournier, Jean-Paul Charlet oder Armand Comte begaben sich auf die Suche nach Kristallen, da sie die modernen Techniken des Bergsteigens beherrschten. Sie machten bemerkenswerte Entdeckungen in Höhlen, die bis dahin unerforscht geblieben waren. Zur gleichen Zeit entstanden immer mehr mineralogische Vereine und Mineralienbörsen. Im Mont-Blanc-Massiv wird das Know-how der Kristallhersteller nun vom Vater an den Sohn weitergegeben, und zwar an die Bergführer, die ihr Leben den Alpengipfeln widmen.
Der Beruf des Kristallzüchters in den Alpen heute
Heutzutage verfolgen die Kristallsammler - erfahrene Bergführer oder begeisterte Neulinge - ihren Traum auf den Gipfeln der Alpen. Wie Spürnasen beobachten sie die Felswände mit dem Fernglas, um Quarzgänge aufzuspüren. Dann machen sie sich auf den Weg zu immer gefährlicheren Überquerungen in unerforschte Gletscherspalten. Epidot, Brookit, Azurit, Quarz oder Fluorit: Wenn die Sonne wieder scheint, offenbart das Mont-Blanc-Massiv seine Wunder. Dann machen sich die Kristallzüchter daran, den Schnee zu entfernen, der den begehrten Ofen verstopft. Sie tauen den Eingang der Höhle auf, kratzen die Erde ab und räumen die Wände frei. Einer von ihnen schleicht sich in die Geode, um sanft die Kristalle herauszuholen, während der andere sie in Empfang nimmt und sie zum Schutz einwickelt. Ihre Handgriffe sind präzise und ihre Werkzeuge leicht, um die geernteten Stücke nicht zu beschädigen. Der Vorgang ist heikel, da ein Ofen oft nur wenige Dezimeter breit und hoch ist.
Moderne Kristallforscher müssen sich an strenge Vorschriften halten. Ein ministerielles Rundschreiben aus dem Jahr 1996 legte den Rahmen für ihre Praxis neu fest und verbot ihnen, Sprengstoff oder einen Hubschrauber für ihre Expeditionen zu verwenden. Es sind nur noch traditionelle Abbautechniken erlaubt. Im Jahr 2008 veröffentlichte die Stadtverwaltung von Chamonix eine Verordnung, die vom Mineralogischen Club der Stadt ausgearbeitet wurde. Der Ehrenkodex der Kristallschürfer legt ihre Pflichten fest. Jedes Jahr müssen die Schürfer ihre Tätigkeit bei der Stadtverwaltung anmelden und sich bei dieser Gelegenheit formell zur Einhaltung dieser Berufsethik verpflichten. Im Dezember, wenn die Saison zu Ende geht, müssen die Kristalljäger ihre Beute dem Rathaus von Chamonix, dem Eigentümer des Bodens und des Untergrunds des Mont-Blanc-Massivs, vorlegen.
Wenn sie einen bedeutenden Fund gemacht haben, sind die Kristallfabrikanten schließlich gezwungen, der Stadtverwaltung das Primeur des Verkaufs anzubieten. Durch den Erwerb der schönsten Fundstücke trägt die Stadt Chamonix zum Erhalt des Kulturerbes der französischen Alpen bei. Die außergewöhnlichen Kristalle erweitern dann den mineralogischen Fundus des Kristallmuseums. Das Kristallmuseum wurde 2021 dank des großzügigen Vermächtnisses von Michel Jouty, einem Sammler und Händler unter Chamonix, vollständig renoviert und zeigt dem Publikum fast 2000 bemerkenswerte Stücke aus den Alpen und anderen Ländern. Rosa und rote Fluorite, Rauchquarze, Axinite, Siderite oder Epidote - allesamt alpine Schätze, deren Glanz in der ganzen Welt zu sehen ist.
Kristallsucher auf dem Gipfel der Alpen : Eine Kristalljagd, die sich neu erfindet
Heute ist der Zustrom an Kristallzüchtern größer denn je. Zu den bekanntesten gehören Christophe Perray, Jean-Franck Charlet und René Ghilini, die in den Bergen unterwegs sind. Doch obwohl die Alpen immer mehr Entdecker anziehen, lauert auch immer wieder die Gefahr. Im Hochsommer sind die Gipfel trocken und das Gestein bröckelig. Die Wände drohen jeden Moment einzustürzen. Als der Bergführer Jean-Franck Charlet 1983 mit seinem Cousin George Bettembourg und zwei ihrer Kunden auf Kristallsuche ging, musste er entsetzt mit ansehen, wie einer von ihnen und sein Cousin in den Tod stürzten und in einem tragischen Moment von einem Erdrutsch mitgerissen wurden. In den letzten Jahren haben die katastrophalen Folgen des Klimawandels die Risiken für Kristallglashersteller noch verschärft. Durch das allmähliche Auftauen des Permafrostbodens in großen Höhen wird das Gestein immer brüchiger und Steinschläge nehmen zu.
Die Gefahr lauert, doch das tut dem Eifer der Kristallzüchter keinen Abbruch. Der Rückgang der Gletscher und das unwiederbringliche Schmelzen des ewigen Schnees lassen die Berge brüllen und zwingen sie zum Nachgeben. Aber sie eröffnen den Menschen auch neue Gebiete. Noch unberührte Gebiete tauchen aus der Vergessenheit auf, verschüttete Öfen kommen ans Tageslicht. Und die zahlreichen Entdeckungen prächtiger Kristalle wecken bei den Wagemutigen wieder die Lust am Abenteuer. So legte beispielsweise Christophe Lelièvre, Hüttenwart der Charpoua-Hütte am Fuße der Drus, im Jahr 2003 an den Flanken des Évêque einen Ofen voller prächtiger Fluorite frei. Im Jahr 2006 war es an Christophe Perray, Geschichte zu schreiben. Auf der Aiguille Verte, ebenfalls im Mont-Blanc-Gebirge, entdeckte er einen unvergleichlichen roten Fluorit von über 5 kg Gewicht. Er nennt diesen Schatz "Fluorit Laurent" zu Ehren seines Freundes, des Kristallzüchters Laurent Châtel, der einige Monate zuvor in den Bergen verstorben war. Und wenn Sie Lust haben, können Sie diesen fabelhaften Kristall, der als "Kulturgut von bedeutendem patrimonialen Interesse" eingestuft ist, in der Mineralogiegalerie des Naturhistorischen Museums in Paris bewundern.
Auf der Suche nach Abenteuern sind die Kristallmacher immer wieder in den Alpen unterwegs. Trotz aller Gefahren und Rückschläge setzen sie ihre Odyssee von einem Gipfel zum nächsten fort. Zu Ehren des Hochgebirges und der funkelnden Natur. Den strahlenden Kristallen, ihren schönsten Schätzen.