In der Stille der alpinen Höhen zerreißt der Piz Roseg den Schleier der Wolken. Der von der jahrtausendelangen Erosion gemeißelte Steinkoloss zeigt seine halbmondförmige Pracht wie eine Herausforderung an die Gesetze des Chaos. Auf 3935 Metern herrscht dieser Bernina-Gigant über ein Reich aus Eis, das auf der Kippe steht. Seine perfekte Kurve hypnotisiert den Blick, eine heilige Grenze zwischen Licht und Schatten. Ein majestätischer Bogen, der die Seele in den Himmel katapultiert. Zu seiner Linken zieht sich ein dunkler, brutaler Grat in den Abgrund, ein dramatischer Kontrapunkt zur leuchtenden Sanftheit der Hauptsichel. Die hängenden Gletscher glitzern unter dem Ansturm der Sonne. Der frische Schnee zeichnet perlmuttfarbene Wellen an ihren Flanken, wie Wellen, die auf ihrem Weg in die Ewigkeit eingefroren sind.

Der Piz Roseg erstickt jedoch unter dem unsichtbaren Ansturm der globalen Erwärmung. Seine Gletscher ziehen sich unaufhaltsam zurück. Sein Podest schmilzt wie Schnee in der Sonne. Wie lange noch wird dieser Berg seine mondähnliche Pracht behalten? Wie viele Winter wird es noch dauern, bis dieser Gigant nur noch ein Haufen zerbrochener Felsen ist, der in einen gleichgültigen Himmel zeigt?

Ich wollte diese flüchtige Schönheit, diese perfekte Geometrie, die aus dem geologischen Zufall entstand, einfangen. Im stillen Getöse des Hochgebirges bot mir der Piz Roseg sein reinstes Gesicht. Als zerbrechlicher Zeuge einer Welt im Wandel erinnert er uns eindringlich daran, dass selbst Steinkolosse nur flüchtige Schatten in der Unendlichkeit der Zeit sind.